Wenn Michael Tosch durch Rüdesheim und die umliegenden Weinberge spaziert, kommt er nicht selten mit einer neuen Buchstory nach Hause. Der rüstige 80jährige Wahl-Rheingauer ist leidenschaftlicher Krimi-Autor. Als in der Brömserburg bei Aufräumarbeiten drei aus dem Mittelalter stammende Skelette aufgefunden werden, schreibt Tosch einen Historien-Krimi, der im 16. Jahrhundert in der Region um den Brömserhof spielt. Dafür wälzte er Bücher und Dokumente aus Archiven und recherchierte im Internet. Im Jahr 2023 schließlich erscheint das Buch „Niemals kann ich Euch vergeben“. Mittlerweile hat Tosch bereits einen vierten Rüdesheim-Krimi mit dem Titel „Der Mörder hat dich schon im Blick“ geschrieben. Auch der geht zurück auf ein reales Erlebnis, von dem Krimi-Autor Tosch zufällig im Gespräch mit einer jungen Polizistin beim Spaziergang auf dem Niederwald erfährt.

Regional-Krimis liegen im Trend. Die Taunus-Krimis von Nele Neuhaus stehen als prominentes Beispiel dafür. Verlage haben für attraktive Regionen eigene Reihen aufgelegt. So auch für den Rheingau. Und viele Menschen träumen davon, ein Buch zu schreiben. Wenn die Verlage aber bei rund 70.000 Neuerscheinungen pro Jahr neue Ideen und Talente nicht wahrnehmen, hilft nur der Weg über den Eigenverlag als sogenannter Selfpublisher. Früher von Presse und Literaturprofis belacht ist der sogenannte Selfpublisher heute fester Bestandteil des Marktes. Michael Tosch ist einer von ihnen und hat so bereits zwölf Romane veröffentlicht. Sogenannte Selfpublishing-Dienstleister bieten diese Alternative. Sie produzieren Manuskripte, drucken Bücher auf Bestellung und verbreiten Informationen an Buchhändler. Autoren genießen hier auch mehr Freiheiten. Ob bei der Gestaltung des Covers oder der Festlegung des Verkaufspreises. Dafür müssen sie aber auch zahlreiche Aufgaben zur professionellen Erstellung und Vermarktung ihres Buches in Eigenleistung übernehmen und finanzieren. Selten decken die Verkaufserlöse der Bücher diesen Aufwand. Was aber treibt die Autoren anderes an, wenn die ökonomischen Anreize fehlen?

Auch Ruheständler Tosch kümmert sich um Produktion und Absatz seiner Bücher in alleiniger Regie. Er besucht die örtlichen Buchhändler, gibt Lesungen und pflegt seine verkaufsorientierte Website. So wie ihm geht es auch anderen engagierten Autoren in der Region. Auch Jessica Spät lebt in Rüdesheim. Verschiedene Lebensereignisse führten die 46jährige aus Stade in den Rheingau. Obwohl sie schon von Kindesbeinen an mit dem Schreiben liebäugelte, kam sie erst vor wenigen Jahren zu ihrer Leidenschaft. Für Zeitungen und Zeitschriften textet sie heute Serien-Geschichten. Unter dem Pseudonym Mildred Speet hat sie u.a. den Thriller „Deine Lüge ist mein Verderben“ veröffentlicht. Im Vergleich zu anderen Autoren ist Spät allerdings eher introvertiert. Die Bewunderin von Stephen King schätzt die Privatsphäre, scheut deshalb auch öffentliche Lesungen und schreibt unter verschiedenen Pseudonymen. Die aus Ransel stammende Jung-Autorin Michelle Weber hingegen besucht Messen und literarische Veranstaltungen. Auf der Leipziger Buchmesse im März diesen Jahres präsentierte sie ihren Debutroman „Die Physik des Todes“. Die 37jährige ist Diplom-Chemie-Ingenieurin, gehört aber zu den eher umtriebigen Schriftstellern der Region. Ihre Geschichten sind selten von ihrer Umgebung inspiriert und entstehen deshalb auf Dienstreisen, im Flieger und in den Cafés dieser Welt.

Was also motiviert all diese Menschen, die sich tief in vermeintliche Helden hineindenken und diese dann auf dem Papier agieren lassen. „Beim Schreiben bin ich der Schöpfer. Hier bestimme ich, wie es läuft“, beschreibt Stephan Reinbacher seine Motivation. Der 60jährige Krimi-Autor ist im wahren Leben Journalist und Gerichtsreporter. Die reale Welt des Verbrechens, der Niedertracht und ihrer Akteure ist ihm bestens bekannt. Da passt dem gebürtigen Hamburger gerade die Ruhe und die Idylle des Rheingau ideal ins literarische Konzept. „Meine Rheingau-Krimis bringen den Kontrast von Brutalität und Verbrechen zu der friedlichen Landschaft der Region auf den Punkt.“ Der Medienprofi lebt seit 20 Jahren im Rheingau. Seine Schreibstube ist eine ausgebaute Scheune mit Glasfront und Blick über Weinberge und die Dächer von Martinsthal. Hier entstand der Krimi „Rheingau-Höllen“, mit dem er beim Emons-Verlag unter Vertrag steht.

Wenn es diesen Herbst wieder heißt „Das Blut tropft – der Wein fließt”, läutet der Eltviller Veranstalter Ulrich Bachmann zum 10. Mal die Rheingauer Krimiabende ein. Wieder werden neue Autoren mit dem Bezug zur Region in ausgesuchten Weingütern zu Gast sein, egal ob verlagsgebunden oder selbstpublizierend, ob haupt- oder nebenberuflich als Schriftsteller unterwegs. Sie lesen und präsentieren dem Rheingauer Publikum ihre Fantasiewelten, ausgewählt von Andreas Arz, seit diesem Jahr neuer Künstlerischer Leiter. Der 45jährige Lorcher ist Verlags- und Medienkaufmann und seit Jahren auch selbst Krimiautor. Bekannt geworden ist er mit seinen „Flaschenhals-Krimis“. Der passionierte Mittelrheintaler und Rheingauer widmet sich bei seinen Werken der Sagen- und Historienwelt rund um seine Heimat. So entsteht die Idee für seine Romane oft aus den Fragen von Touristen nach Hintergründen und Geschichten der Region. Denn Andreas Arz ist nebenbei auch Fremdenführer, wenn er nicht gerade in seiner Schreibstube hoch über Lorch an seinem neuen Roman „Die Tränen der Loreley“ arbeitet. Das Schreiben ist ihr Geschäft. Leila Emami, 1970 in Teheran geboren, lebt seit ihrem elften Lebensjahr im Rheingau. Aus ihrer Feder kommen Drehbücher, Event- und Bühnenstücke. Natürlich schreibt auch sie Bücher und Anthologien. Über mehrere Jahre begleitete die empathische Autorin vor Arz die Rheingauer Krimiabende. „Der Autor per se zeigt einen unglaublichen Drang, Geschichten zu erzählen“, resümiert sie ihre Erfahrung bei der Suche nach Autoren, die den für einen Rheingauer Krimiabend notwendigen Bezug haben. „Hinzu kommt die unbändige Lust, die Zuhörer teilhaben zu lassen und sie mit auf die Reise durch die eigene Fantasie zu nehmen. Und wo geht das besser als im Rheingau!“ Eine literarische Reise durch die Region hat viele Fassetten.

Dieser Beitrag von Karl-Heinz Behrens ist wortgleich am 20.08.24 im Wiesbadener Kurier erschienen